Mitmachstadt

27.07.2016

von Wiltrud Föcking

Am vergangenen Freitag habe ich die Mitmachstadt in der alten Forensik in Düren besucht, ein Kunstprojekt der Montagstiftung, bei dem in einem großen Zelt aus Ton eine Stadt gebaut wird. Ich wollte erste Feldforschung für meinen Stimme-Workshop im August betreiben. Eindringlich und einladend erschien mir die Atmosphäre draußen im Zelt und um das Zelt herum. Die Teilnehmer an den Workshops arbeiten zunächst ganz für sich, bringen ihre Arbeiten dann aber ein in die Stadt aus Ton, die in der Mitte des großen Zeltes stetig wächst. Sie arbeiten konzentriert, sind dennoch offen für Gespräche, Geschichten und Ideenaustausch.

Unterschiedliche Objekte entstehen und bilden ein Werk aus Zusammenhängen, wie in einer lebendigen Stadt. Die Stadtgrenze dehnt sich immer weiter aus, obgleich sie über den Ton als Material klar definiert ist und durch diese Grenze all die eigenwilligen Gebilde in sich aufnimmt. Ein Organismus, der wächst und Form bildet.

Ich bin auch gekommen um die räumlichen und akustischen Möglichkeiten vor Ort kennenzulernen. Die Räume der alten Forensik sind wunderbar. Der große Saal mit den Säulen eignet sich gut als „Pool“, vom dem aus mit der Stimmarbeit gestartet werden kann. Die Akustik ist großartig, die Stimme hat es leicht, kräftig und schön zu klingen. Es gibt viele Wände um mit Echo zu tönen und dessen Effekte zu erforschen. Die Größe des Raums macht möglich, sich frei zu bewegen und mit der Spannung von Nähe zum anderen und Distanz zum Alleinsein zu spielen.

So spiele ich also mit meiner Stimme und probiere. Als ich hinausgehe höre ich vom Hof aus, wie eine Männerstimme in den Räumen oben, ähnliche Stimmspiele macht wie ich kurz zuvor. Ich gestehe, dass ich mich freue über die gelungene Inspiration und denke, das Stimmprojekt könnte funktionieren, wenn ich mit der Atmosphäre des Ortes arbeite, für diese durchlässig bin. Vielleicht entstehen durch die Klänge der Stimmen weitere persönliche Bilder und Geschichten, die der Mitmachstadt neue poetische und ästhetische Aspekte liefern.

Auch Ruth und Isabell hören die Stimme und gemeinsam suchen wir den Sänger, weil wir für heute fertig sind und die ehemalige Forensik abschließen möchten.

Zunehmend bekommt diese Suche etwas schaurig Geisterhaftes. Die Atmosphäre in dem backsteinernen und vergitterten Gebäude aus dem letzten Jahrhundert, die Gegenwärtigkeit der Geschichte in all den Spuren, alles noch sehr präsent, legt sich, während wir die Räume durchsuchen und in alle Nischen schauen, wie ein Schleier über uns und relativiert das Jetzt. Nach mindestens einer halben Stunde geben wir die Suche auf. Wir finden niemanden und verlassen das Gelände.

Diese ersten Eindrücke waren besonders.

Panorama Haus 5
Foto: Eberhard Weible

Hier auch ein Kommentar der Kuratorin Ruth Gilberger, der auch im Blog des Projektes nachzulesen ist:

„Wir haben die Stimme gehört. Wir sind uns ganz sicher. Wir wissen auch, dass sich niemand unbegleitet in den Räumen aufhalten darf. Und gerade deshalb haben Unsicherheit, Angst, und das Gefühl des Schutzlosen uns in unserer Suche nach dem Unbekannten durch die Gänge und in den Räumen der alten Forensik begleitet, gepaart mit der Sorge und in der Verantwortung, jemanden dort über Nacht einzuschließen. Es gibt zwar Notausgänge, aber das Gebäude ist mit einer hohen Backsteinmauer umgrenzt. Keine vertrauensvollen Aussichten für jemanden, dort die Nacht zu verbringen bzw. verbringen zu müssen.

Am nächsten Morgen mache ich mich mit der Bildhauerin Martina Benz, die passenderweise den Workshop „Nischen“ anbietet und die Geschichte sowohl der Psychiatrie im Allgemeinen wie unsere im Besonderen kennt, auf den Weg. Nichts. Nichts Besonderes draußen und drinnen.

Wir erzählen die Geschichte allen Besuchern der Mitmachstadt, die am Tag vorher schon da waren, um herauszufinden, ob sie die „Sänger“ waren. Fehlanzeige gepaart mit empathischen Kommentaren wie „…. tja, wenn ihr schon Stimmen hört…“ und erleichterndem Witzemachen. Es ist Samstagvormittag, die Sonne scheint, alle sind mit ihren eigenen Arbeiten beschäftigt. So wird konzentriert modelliert und im Tun der geisterhafte Sänger vergessen.
Fast jedenfalls. Wir räumen gemeinsam auf, alle Besucher haben das Areal verlassen. Martina, Fiona und ich stehen in der Eingangstür und wollen abschließen, da ertönt abermals die Stimme. Nicht so laut wie am Tag zuvor und nicht eindeutig aus dem Gebäude, aber sie ist da. Wie angewurzelt bleiben wir vor dem Eingang stehen, was den Argwohn zweier Passantinnen hervorruft, die uns von der Straße aus sehen. Auf ihre besorgte Nachfrage, ob etwas passiert sei, und unsere so einfache wie mehrdeutige Aussage „…dass wir wieder eine Stimme hören…“, gucken die beiden uns verständig und milde lächelnd an und entgegnen: „…aber das ist doch der Muezzin.“

Und dann folgt die akustische Erleuchtung:

Die vokalreiche Form der Klangerzeugung von Wiltrud Föcking, die mir aus gemeinsamer Arbeit bekannt ist, ist von der Melodieführung und der Syntax ähnlich der Modulation der Gesänge des Muezzins. Der Schall seines Freitagsgebets in der nahegelegenen Moschee muss sich an der Außenmauer des Gebäudes gefangen und widergespiegelt und gleichzeitig den Gesang wiedergespiegelt haben.

Um diese Perspektive bereichert (und beruhigt), wird der Workshop von Wiltrud Föcking Mitte August bestimmt noch spannender werden.“