Die verneinte Frage

Heute mal nicht Stimme, sondern Sprache: Über die absonderliche deutsche Konvention der verneinten Frage.

Von Wiltrud Föcking

Wir stritten und diskutierten uns um Kopf und Kragen über Fragen, die eine Verneinung enthalten und dennoch mit „Nein“ oder „Doch“ beantwortet werden, obgleich das logisch betrachtet keinen Sinn macht, weil ja die Verneinung nicht noch einmal verneint werden muss.
Wenn wir im Schuhladen fragen „Gibt es die Schuhe nicht in Größe 39?“ und der Verkäufer würde mit „Ja“ anworten, so wären wir verwirrt. Aber logisch betrachtet bestätigt er doch ganz präzise mit seinem Ja die verneinte Frage und ich wüßte Bescheid: Ja, die Schuhe gibt es nicht in meiner Größe. Punkt. Aber so läuft es nicht in der Sprache der Dichter und Denker. Der Verkäufer sagt nicht „Ja“, sondern „Nein, die Schuhe gibt es nicht.“.

Analog

Wo man kommuniziert, das gibt es auch eine Metaebene. Die sogenannte analoge Kommunikation, sendet jenseits der digitalen Vermittlung von eindeutigen Sachverhalten, subtile Informationen. Sie hat ihre eigenen Regeln – bei jedem Gespräch läuft sie unterschwellig mit und unterwandert in diesem Fall das logische Denken. Ein Berg an Konnotationen und Subkontexten macht einen Großteil unserer Kommunikation aus und sorgt dafür, dass wir uns auf emotionaler Ebene verstehen – unabhängig von dem eigentlich Sprachgehalt, geschweige denn der Logik.

Kommen wir zurück zu den verneinten Fragen. Wahrscheinlich gehören sie ins Reich der analogen Kommunkation. Schaut man sie sich genau an, so wird deutlich: sie sind keine verneinten Fragen, sondern eigentlich positiv gemeinte! Deshalb werden sie vom Hörer auch gemäß des positiven Gehalts beantwortet. Aha! Ein anderes Beispiel: Wenn ich also – quasi rhetorisch – frage „Besitzen Sie gar kein Auto?“, will ich eigentlich wissen, ob der Gefragte ein Auto hat. Noch genauer, ich will eigentlich nur bestätigt bekommen, dass er kein Auto hat, weil ich es ja schon ahne. Also erwarte ich die entstprechende Antwort: „Nein“.

Ein weiteres Beispiel:

Analog: „Willst du etwa gar nicht mit nach Duisburg?“ „Hmm. Ehrlich gesagt: Nein.“ (Genau, endlich hast du es kapiert. – ich will nicht mit!)
Digital: „Willst du nach Duisburg?“ „Nein“

Und genau dieser konventionell vereinbarte aber uns allen gar nicht bewußte Schlenker, macht die Analyse so kompliziert, bzw. für Nichtmuttersprachler eigentlich fast unmöglich.

Warum verwenden wir Verneinungen, obwohl wir sie gar nicht meinen? Meine Hypothese ist, dass es eine Höflichkeitsform ist, um dem Gefragten nicht zu sehr auf die Pelle zu rücken. Um in höflicher Distanz zu bleiben. Und vielleicht zusätzlich um die Kommunikation ein wenig zu vernebeln oder zu verschnörkeln.
Kommunikation ist immer mehr als Informationsaustausch, es ist menschlicher Kontakt, und es geht nicht um Ja oder Nein, sondern immer um Begegnung. Das angemessene Nähe-Distanz-Verhältnis, Atmospähren, zwischenmenschliche Geschichten oder Narrationen, die weit über „Ja“ und „Nein“ hinausgehen. Ein bisschen Wischiwaschi in der Sprache und man kommt sich nah, aber nicht zu nah, kann mal anklopfen, unverbindlich bleiben.

Weitere Beispiele:

Analog: „Willst du nicht doch lieber mit uns mitfahren?“ „Nein, ist total lieb, aber….“ (Wischiwaschihöflich, weil man allein fahren will, aber es fällt schwer ein Angebot abzulehnen.)
Digital: „Fahr mit uns mit!“ „Nein!“

„Magst du noch einen Nachschlag?“ fragt man, wenn man ganz sicher ist, der andere will und sollte noch was nachnehmen. Die verneinte Frage „Magst du keinen Nachschlag mehr?“ verwendet man, wenn man weiß, dass der andere keinen Nachschlag mehr möchte. Man kommt ihm durch die verneinte Frage auf halber Strecke entgegen und vereinfacht ihm das Verneinen, damit er nicht in die Verlegenheit kommt unhöflich zu wirken. Es könnte vielleicht so aussehen könnte, als schmecke es ihm nicht.

Mittelirritierendes

„Du nimmst keinen Zucker im Kaffee, oder?“ Da könnte man fast schon „Ja“ sagen, weil die Frage wieder eher rhetorisch gemeint ist und der Fragende quasi weiß, dass kein Zucker genommen wird, sich aus Höflichkeit nur vergewissert. Dennoch würde die meisten eher „Nein“ sagen um die Frage zu bestätigen. Unlogisch, aber analog.

Große Worte

„Willst du mir nicht endlich die Wahrheit sagen?“ Was ist die richtige Antwort auf diese verneinte Frage: „Doch schon; aber….“ Es gibt derart komplizierte verneinte Fragen, die man gar nicht mit „Ja“ oder „Nein“ beantworten kann. „Liebst du mich nicht mehr?“ – „Doch…“. Was ist das für eine merkwürdige sprachliche Krücke? Dieses „Doch“ ist wohl keine grammatikalische Lösung oder Regel, sondern? Vielleicht auch wieder eine Konvention, die sich im Laufe der Sprach- oder Kommunikationsgeschichte herausgebildet hat, eine Konvention, die die emotionale Ebene anspricht: Die beiden Fragen sind genau betrachtet nämlich keine Fragen. Sondern flehende Bitten: „Sag mir die Wahrheit!“, „Liebe mich!“. Diese Bitten sind aber in diese verneinten Fragen verkompliziert. Also wieder analoge Kommunikation. „Ja“ oder „nein“ ist so eindeutig wie schwarz und weiß. Das will hier nicht passen. „Doch!“ oder besser noch „Doch schon, aber….“ ist eine Graustufe, die ungefähr passt und erst einmal ein wenig Zeit bringt. Es spiegelt viel besser wider, dass wir in einem emotional-trüben Gewässer fischen. Da steht was auf dem Spiel, etwas sehr wichtiges, was aber noch nicht oder schwer zu packen ist: Wahrheit! Liebe! Puuh! Große Worte! Das ist nicht so einfach. Es lebe die Doch-Krücke! 

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